Junge Landschildkröte gefunden: was tun? 

Frage: Während einer Fahrradfahrt hatte ich im Juli 2008 mitten auf der Straße in einer kleinen Ortschaft eine junge maurische Landschildkröte gefunden und zu mir in Pflege aufgenommen. Dem Gewicht nach (39 g) handelt es sich vermutlich um eine Nachzucht aus 2007. Ich hatte im Internet überprüft, ob jemand eine Schildkröte in der Gegend vermisst – dies war jedoch zu diesem Zeitpunkt in ganz Niedersachsen nicht der Fall. Natürlich hätte ich gerne eine EU-Bescheinigung für das Fundtier, doch möchte ich andererseits auch nicht riskieren, dass es mir abgenommen wird. Es ist doch verrückt, dass man es Menschen, die es gut mit den Tieren meinen und ihnen auf Lebenszeit ein gutes Zuhause bieten können, so schwer macht. Was soll ich Ihrer Meinung nach tun?
(Name und Wohnort der Anfragerin bekannt)
 
Behördenauskunft: Der Berichterstatter hatte sich angeboten, mit der zuständigen Behörde über diesen konkreten Fall ohne Nennung eines Namens zu sprechen, in der Annahme, dass jeder Sachbearbeiter einen gewissen Entscheidungsspielraum hat und dass das Fundtier auf entsprechenden Antrag der Finderin hin bei dieser verbleiben darf (es sei denn, der rechtmäßige Besitzer meldet sich noch), zwar ohne EU-Bescheinigung, aber doch wenigstens behördlicherseits registriert. In Bayern kenne ich mehrere derartige Fälle, bei denen der Antrag positiv beschieden wurde.

Um diese junge maurische Landschildkröte (Testudo graeca), ein Fundtier, geht es in diesem Beitrag: darf sie die Finderin - auf Antrag - behalten oder wird sie eingezogen? Das Foto entstand kurz nach der Auswinterung aus der ersten Winterstarre Ende Januar 2009. Obwohl die Winterstarre fast 4 Monate dauerte, hat das Jungtier in dieser Zeit nur 1 g abgenommen. Foto: Privat

Doch die Auskunft der örtlichen niedersächsischen Behörde war ernüchternd. Zunächst wurde der Finderin vorgeworfen, dass sie den Fund nicht sofort der zuständigen Unteren Naturschutzbehörde und auch nicht dem örtlichen Fundamt (!) oder Tierheim, evtl. auch der Feuerwehr, gemeldet hat. Nur im Internet nachzusehen, genüge nicht, so die Aussage des Artenschutz-Sachverständigen: „Nicht jeder hat oder nutzt das Internet. Man darf generell gefundene Sachen, auch Schildkröten, nicht einfach behalten (Vorwurf: Fundunterschlagung !).“ Klar und unmissverständlich kam dann die Aussage, dass die gefundene Schildkröte nachgemeldet werden muss. Auf meine Frage, ob dann einem gleichzeitigen Antrag der Finderin auf Duldung (Verbleib des Tieres bei der Finderin) stattgegeben wird, kam die Antwort, dass zwar ein derartiger Antrag gestellt werden kann, aber in Niedersachsen fast immer abgelehnt wird. Ein Beispiel für eine der ganz seltenen Ausnahmen sei, wenn z.B. eine alte, allein stehende Frau mit einem Papagei als „engem Bezugstier“ zusammenlebt, also eine sehr enge emotionale Bindung zwischen Tierhalter und Tier besteht. Auf meine Frage, was dann mit der gefundenen Landschildkröte geschieht, wurde mir gesagt, dass sie an einen der zahlreichen weltweiten Zoos vermittelt wird, mit denen die Hauptbehörde in Hannover zusammenarbeitet.
 
Sollte die Finderin die Schildkröte behalten, so ist der Besitz des Tieres in jedem Fall illegal, so die Behörde. Bemerkenswert die weitere Aussage des Gesprächspartners: sollten in den Folgejahren weitere Landschildkröten mit gültigen Papieren hinzugekauft werden und sich nach Eintritt der Geschlechtsreife Eier im Gehege finden, werden für die eventuell daraus schlüpfenden Schildkröten-Nachzuchten dann keine EU-Bescheinigungen ausgestellt, wenn die Behörde erfahren sollte, dass sich das jetzige Fundtier mit in der Gruppe aufgehalten hat. Denn, so die Begründung, es sei ja nicht auszuschließen, dass sich die "illegale Fundschildkröte" an der Vermehrung beteiligt hat. Selbst wenn man bestätigt, dass letzteres unmöglich ist, weil die Fundschildkröte beispielsweise ständig an einem anderen Ort gelebt hat, ändert dies nichts an der Situation aus Behördensicht, denn dies müsste glaubhaft nachgewiesen werden (quasi Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr) – was aber nicht möglich ist.
 
Horst Köhler (21. März 2009)