von Horst Köhler, Friedberg
Einleitung
Auf der Website www.schildi-online.eu wurde mehrmals von rekordverdächtigen Größen von wild lebenden Landschildkröten berichtet. Nun erweitert sich die Liste von zufällig gefundenen „Riesen-Landschildkröten“ weiter. Denn Ende April 2017 wurde auf der Insel Sri Lanka eine große Sternschildkröte (Geochelone elegans) mit einem nie erwarteten Körpergewicht von 14 kg gefunden (Bild 3); darüber hat kürzlich die Zeitschrift RADIATA der AG Schildkröten der DGHT in ihrer August-Ausgabe 2017 berichtet (de Silva et.al., 2017).
Der Fundort
Die Sternschildkröte wurde am 30. April 2017 im Lunugamwehera-Nationalpark von Sri Lanka im Südosten der Insel bei 6°25‘ Nord / 81°09‘ Ost gesichtet, als sie gerade aus dem Wald kam und wohl auf der Suche nach Futter oder einer feuchten Stelle in Richtung Grasland lief. Dieser seit Dezember 1995 bestehende Nationalpark nördlich der Kleinstadt Tissamaharama ist mit 23.500 ha (= 235 km2) ein eher kleiner und ruhiger Nationalpark, der weit weniger von Touristen überlaufen ist als der benachbarte berühmte Yala-Nationalpark, an dessen westliches Ende er praktisch angrenzt. Die nächst größere Stadt ist Hambantota. Die Klimadaten für die Fundregion: Tageshöchsttemperaturen durchschnittlich zwischen 30 und 33°C über das gesamte Jahr hinweg und mittlere relative Feuchten zwischen 80 und 88 %. Dies nur als Hinweis darauf, dass Sternschildkröten bei uns aufgrund unrichtiger Haltungsempfehlungen oft zu warm und gleichzeitig zu trocken gehalten werden (Köhler, 2017).
Literaturangaben über bemerkenswerte Größen und Gewichte von G. elegans
Normalerweise erreichen ausgewachsene Sternschildkröten nach Literaturangaben (z.B. Fife, 2009) eine durchschnittliche gestreckte Carapaxlänge (Stockmaß, SCL) von 18-20 cm (Weibchen) bzw. 13-15 cm (Männchen) und Höchstgewichte bis maximal 3,5 kg (Vetter, 2003; Köhler, 2010). Die Weibchen von G. elegans werden in der Regel größer als die Männchen, nicht selten drei Mal so groß. Aus 111 in 1994/95 vermessenen Sternschildkröten aus dem Nordwesten Sri Lankas wog das größte Weibchen 3,45 kg bei SCL = 27 cm und das größte Männchen 1,25 kg bei SCL = 19 cm (de Silva, 2003). Anlässlich einer Felduntersuchung zwischen April und September 2008 in sechs verschiedenen Regionen von Mihintale (Jayawickrama et.al., 2010) wog das größte von 65 vermessenen Individuen, ein Weibchen, 2,75 kg bei SCL = 24,7 cm, das größte männliche Tier 2,45 kg bei SCL = 22,9 cm. Aus einer Beschlagnahmung von 153 (!) illegal nach Hongkong eingeführten Sternschildkröten aus Sri Lanka im Juni 2004 - davon verstarben allerdings 41 Tiere noch in Hongkong - erhielt der Allwetterzoo Münster fünf Tiere (zwei Männchen und drei Weibchen). Die beiden Männchen wogen bei Erhalt im Januar 2005 235 und 250 g (Carapaxlänge, gemessen im August 2007: 11 und 12 cm), das größte der drei Weibchen 250 g (SCL August 2007 = 15 cm) (Scholdei, 2009).
Größere und schwerere Exemplare scheinen vor allem auf Sri Lanka - und nur selten in den beiden anderen Ursprungsländern der Art in Indien und Pakistan - zu leben. Die bisher größte gefundene Sternschildkröte auf Sri Lanka, ein Weibchen, wurde 1997 gesichtet: es wog 6,6 kg und hatte ein stolzes Stockmaß von 38 cm (De Silva, 2003). Dieses Tier hielt bis jetzt, also 20 Jahre lang, weltweit den Gewichtsrekord für die Art, auch wenn es gemäß der Fachliteratur noch schwerere Sternschildkröten gegeben haben soll; die befanden sich jedoch im Besitz von privaten Haltern oder lebten auf einer Hotelanlage, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine zu starke Fütterung zu dem Riesenwachstum führte.
In dem „Taschenatlas Schildkröten“ (Rogner, 2009) ist für Sternschildkröte ein Stockmaß von „bis 35 cm“ angegeben; bei dieser Angabe handelt es sich aber, wie die hier zusammengestellten Angaben beweisen, nur um die Größe außerordentlich groß gewachsener Weibchens und nicht etwa um eine Durchschnitts-Carapaxlänge der Art G. elegans, was der Leser vermuten könnte. So mancher Sternschildkröten-Besitzer hat mich, durch die 35-cm-Angabe verunsichert, schon gefragt, ob seine Sternschildkröte möglicherweise "zwergwüchsig" ist.
Große Sternschildkröten in Deutschland
Bis zur Auflösung seines Alt-Bestandes von (acht) Sternschildkröten im Jahr 2009 konnten die Zoobesucher des Allwetterzoos Münster unter diesen Schildkröten ein Paar bewundern, dass deutlich größer als die übrigen Tiere des Zoos war: das Männchen wog (im November 2007) 1,5 kg, das Weibchen zur gleichen Zeit sehr beachtliche 5,35 kg (Scholdei, 2009).
Seit 2009 besitzt die Schildkrötenzüchterin Ilona Hess, nach Ihrer Heirat im Jahr 2017 Ilona Heilgeist, ein großes Sternschildkröten-Weibchen, das 2009 ein Stockmaß von 30,5 cm und ein Gewicht von 3,2 kg aufwies (Hess, 2009). Aktuell ist das Tier 3,5 kg schwer (Bild 1); von ihm stammen im laufenden Kalenderjahr 2017 bereits drei Nachzucht-Gruppen (Bild 2).
Bild 1: Das große Sternschildkröten-Weibchen von Frau Heilgeist in einer Aufnahme von Ende 2015
Bild 2: Eines der Schlüpflinge der in Bild 1 gezeigten Schildkröte. Im laufenden Kalenderjahr (2017) hat das Weibchen bei drei Gelegen insgesamt 18 Eier abgesetzt: Bild 1 und 2 von Ilona Heilgeist
Die Lunugamwehera-Riesenschildkröte
Mit 14 kg hält diese Sternschildkröte nunmehr mit großem Abstand den Gewichtsrekord für Geochelone elegans. Bild 3 zeigt das Tier mit seinem „Mitentdecker“, dem bekannten Herpetologen Anslem de Silva, Sri Lanka. Wie er gegenüber dem Autor dieses Beitrages bestätigte (pers. Mitteilung 12.9.2017), war die Schildkröte gesund und wies auch keinen Zeckenbefall auf, wie dies bei zahlreichen wild lebenden Sternschildkröten oft beobachtet wird. Lediglich einige hintere Randschilde (Marginale) weisen einen leichten Panzerdefekt (Panzernekrose) auf, der aber für die Schildkröte kein Problem zu sein scheint.
Die Messungen erfolgten mittels einer Waage, einer Schieblehre und einem Maßband. Der Carapax hatte eine Länge (Stockmaß) von 44 cm und ein Rundmaß (mit Maßband über den Rückenpanzer gelegt) von 57,5 cm. Die Carapaxbreite war 30 cm (Stockmaß), das Carapax-Rundmaß 50 cm. Am 2. und 3. Wirbelschild zählten die Wissenschaftler etwa 40 bis 45 Wachstumsringe (De Silva, 2017).
Bild 3: Diese im Frühjahr 2017 auf Sri Lanka gefundene Sternschildkröte, hier mit Anslem de Silva, ist die bisher größte entdeckte wild lebende Geochelone elegans. Kaum vorstellbar, dass es noch größere Tiere der Art gibt. Foto: Team Anslem de Silva, Sri Lanka
Erstaunlich ist, dass das Entdeckerteam um Anslem de Silva das Geschlecht der Riesenschildkröte nicht eindeutig bestimmen konnte. Das Tier, dessen Größe für ein Weibchen spricht, wies zwar einen kurzen Schwanz auf und einige weitere weibchentypische Merkmale, aber eben auch männchentypische Merkmale, z.B. was die Analschilde (Afterschilde) betrifft. Es ist nicht bekannt, ob ein direkter Nachweis der Gonaden durch Endoskopie versucht wurde.
Nach eingehender Untersuchung durch Tierärzte und nach der Dokumentation wurde die Schildkröte einige Tage nach ihrer Entdeckung wieder an ihrer ursprünglichen Fundstelle ausgesetzt.
Nicht nur Spielerei: Carapaxlänge und Gewicht bei Sternschildkröten
Bereits in einem früheren umfangreichen Beitrag auf dieser Seite (Köhler, 2010b) habe ich mir Gedanken über den (mathematischen) Zusammenhang zwischen der Größe und dem Gewicht von Maurischen Landschildkröten (Testudo graeca ibera) und weiteren Arten gemacht. Dies ist immer dann relevant, wenn man im natürlichen Lebensraum von Landschildkröten ein sehr großes Tier entdeckt, dann zwar seine Größe mit einem Maßband feststellen kann, nicht aber das Gewicht, weil man entweder keine Waage mitführt oder das Tier so groß und schwer ist, dass der Messbereich der vorhandenen Waage nicht ausreicht. Letzteres passierte mir selbst einmal in den Ausläufern des Taurusgebirges in der Südtürkei.
Trägt man das Gewicht möglichst vieler gewogener und vermessener Landschildkröten der gleichen Art über dem Produkt der jeweiligen Rundmaße von Carapaxlänge und –breite auf, erhält man eine Kurve, die durch eine mathematische Gleichung beschrieben werden kann. Damit lässt sich das Gewicht einer Schildkröte immer dann – wenigstens angenähert – berechnen, wenn man den Längs- und Querumfang des Tieres kennt. Ob aber für außerordentlich große Schildkröten diese Gewichtskurve durch Extrapolation noch hinreichend genau ist, erfordert eine Kontrolle durch die Messdaten eines entsprechend großen Tieres. Diese Chance hätte mit den Werten der Lunugamwehera-Sternschildkröte bestanden, aber leider hat das Forscherteam auf Sri Lanka nur die Carapaxlänge und –breite gemessen, nicht aber die Quer- und Längsumfänge (pers. Mitt. von A. de Silva vom 12.9.2017).
Wie wenig stark die Carapaxlänge bei hochrückigen Sternschildkröten in das Gewicht eingeht, veranschaulicht eindrucksvoll ein Vergleich der beiden Sternschildkröten von Frau Heilgeist (Messwerte aus 2009) einerseits und denen der Lunugamwehera-Sternschildkröte andererseits: die Carapaxlänge (Stockmaß) der Sri Lanka-Riesenschildkröte ist „nur“ um 145 % größer, ihr Gewicht aber um fast 440 % !
Literatur:
De Silva, Anslem (2003): The biology and status of the star toroise (Geochelone elegans Schoepf, 1795) in Sri Lanka. Veröffentlicht anlässlich des First Population and Habitat Viability Assessment for Geochelone elegans in Sri Lanka, Dezember 2003, Zoological Gardens, Dehiwala, Sri Lanka
De Silva, Anslem (2017): Fund der weltgrößten Sternschildkröte (Geochelone elegans) im Lunugamwehera National-Park, Sri Lanka. RADIATA, 26. Jahrgang, Heft 3. August 2017, ISSN 1615-5475
Fife, Jerry D. (2009): Indian Star Tortoise Care Sheet, Reptile Channel.com, Status November 2009
Hess, Ilona (2009): Sternschildkröten – meine Favoriten. www.schildi-online.eu, Rubrik „Besucher-Fotos“, 17.7.2009
Jayawickrama D.L.D., Nathanael E.S. und De Silva Anslem (2010): Observation on Geochelone elegans in the Mihintale Sanctuary, Sri Lanka. Lyriocephalus Special Issue 2010, Vol. 7
Köhler, Horst (2010): Gewichte von Sternschildkröten. www.schildi-online.eu, Rubrik „Berichte & Artikel“, 16.5.2010
Köhler, Horst (2010b): Über Schwimmverhalten, Gewichte und Gewichtskurven (Wachstumskurven) von Landschildkröten. www.schildi-online.eu, Rubrik „Berichte & Artikel“, 9.12.2010
Köhler Horst (2017): Fragen zur Sternschildkröten-Haltung – und die Antworten. www.schildi-online.eu, Rubrik „Berichte & Artikel“, 21.2.2017
Scholdei, Jochen (2009): Erst beschlagnahmt, dann vermehrt: Sternschildkröten im Allwetterzoo Münster. Reptilia Nr. 77, Juni/Juli 2009, Jahrgang 14(3)
Vetter Holger (2003): Schildkröten-Lexikon, Heft 5, Edition Chimaira, Frankfurt/M
Dieser Beitrag wurde am 16. September 2017 online gestellt.