Text und Fotos von Horst Köhler, Friedberg

 

Einleitung
Normalerweise bevorzugen europäische Landschildkröten in ihren südeuropäischen Ursprungsländern Lebensräume, in denen die Vegetation von niederen Gräsern und Unkräutern über Gestrüpp und halbhohes Buschwerk bis hin zu schattenspendenden Pinien- oder anderen Bäumen, wie Obstbäumen, reicht. Diese Vegetation gibt den Tieren nicht nur Schutz vor der Mittagshitze in der warmen Jahreszeit und vor zu hoher UVB-Einstrahlung, sondern bietet auch leicht feuchte Rückzugs- und Schlafplätze. Dies ist insbesondere für die Schlüpflinge und Jungtiere bis zu etwa drei Jahren Alter überlebenswichtig; ein dichter Bodenbewuchs schützt sie außerdem auch vor den zahlreichen Fressfeinden.

 

SandBild1

Bild 1: Blick über einen Teil des Dünenfeldes von Nord nach Süd gesehen; hinten das Mittelmeer.

 

SandBild2

Bild 2: Dieser Teil des Biotops ist wesentlich spärlicher bewachsen. Die sich hier aufhaltenden Schildkröten finden kaum Schatten und Schutz. Blickrichtung wie bei Bild 1. 

 

Lebensraum Sanddünen
Landschildkröten können aber auch in ganz anders beschaffenen, auf den ersten Blick unwirtlichen Regionen existieren und sich dort auch fortpflanzen, wie etliche Beiträge und Schildkrötenfotos einer begeisterten Schildkröten-Freundin in dieser Website in der gleichen Rubrik „Berichte & Artikel“ von einem Sanddünen-Biotop im Raum Belek in der Südtürkei beweisen (siehe z.B. „Seltene Beobachtung: Interessantes Sozialverhalten bei frei lebenden Landschildkröten“, Artikel vom 15.3.2013 oder „Erwachen maurischer Landschildkröten im Raum Antalya (Südtürkei) Mitte Februar 2010“, 2. Teil, vom 16.5.2010).

Neugierig geworden, wollte ich diesen besonderen Lebensraum ebenfalls sehen und buchte kurzfristig in der ersten Maihälfte 2013 für eine Woche ein Hotel in Belek. Leider waren die dem Biotop nächstgelegenen Hotels entweder ausgebucht oder für mich zu teuer. Die Folge war, dass für die Hin- und Rückfahrt zu bzw. von diesem Gelände von bzw. zu meinem Hotel, ingesamt 40 km, 60 Euro für das Taxi anfielen. Aber das sollte es mir wert sein! Eine Haltestelle der wesentlich preiswerteren türkischen Mini-Busse gab es in der Nähe meines Wunschziels nicht; ich hatte auch nicht allzu große Lust, bei der Hitze nach mehreren Stunden Aufenthalt in den Sanddünen mit all meinem Equipment auch noch 2 km zu laufen. Schließlich war dies ja für mich auch Urlaub (den mir meine zuhause gebliebene Frau genehmigt hatte; Dank dafür an sie).

 

SandBild3Bild 3: Versuchsweise von dieser Pflanze einer Schildkröte angebotene Blüten und Blätter wurden ignoriert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

SandBild4Bild 4: Verräterische Schildkrötenspuren im Sand. Man braucht nur der Spur zu folgen (allerdings in der richtigen Richtung !) und man weiß, wo die Schildkröte sitzt.    

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Bilder 1-5 geben einen Eindruck vom Aussehen des Sanddünen-Biotops und seiner Vegetation. Ich schätze seine Größe grob auf 400-600 m in Ost-West-Richtung und auf etwa 300 m in Nord-Süd-Richtung. Im Süden begrenzt das Meer und ein etwa 50 m breiter völlig vegetationsloser Sandstreifen das Areal, im Norden ein Wasserkanal, im Westen die Begrenzungsmauer eines großen Hotels und im Osten ein nicht-asphaltierter Zufahrtweg zum Strand, der aber kaum benutzt wird, und wenn doch, dann meist nur von einigen wenigen Türken. Auf dem leicht hügeligen Gelände herrscht zumeist niederer Bewuchs vor, oft Pflanzen mit dornigen Widerhaken. Meine damit gespickten Socken konnte ich nach der Rückkehr ins Hotel nur noch wegwerfen; es dauerte fast eine Stunde, bis ich die Stacheln aus meinen Turnschuhen entfernt hatte. Besser geeignet für derartige Exkursionen wäre also festes Schuhwerk.

 SandBild5

Bild 5: Solche Stauden mit bis etwa 3 m Ausdehnung bieten den Schildkröten ausreichend Schutz vor Sonne sowie Schlaf- und Überwinterungsplätze. Höhere schattenspendende Pflanzen oder gar (Eichen-) Bäume wie in anderen Sanddünenbiotopen, z.B. (Bidmon, 2013), gibt es hier nicht.

 

Feldprogramm
Gegen 7.30 Uhr Ortszeit – auf das Hotelfrühstück musste ich an diesem Tag verzichten – setzte mich das Taxi am Rand des Biotops ab. Besser wäre ich eine Stunde früher vor Ort gewesen, denn als ich eine halbe Stunde später die erste Maurische Landschildkröte (Testudo graeca ibera) sah (Bild 6), zeigte mir mein digitales Thermometer bereits 29 °C Lufttemperatur im Schatten an. Die Höchsttemperatur war mit rund 34 °C (das bedeutet über 40 °C an der Sonne) etwa zwei Stunden später erreicht; zu diesem Zeitpunkt lagen die Carapax-Temperaturen der untersuchten Tiere bei 32-33 °C. Zum späten Vormittag hin bewölkte sich der Himmel zum Glück etwas, so dass die Temperaturen nicht mehr weiter anstiegen – denn für den Schildkrötenbesucher gibt es auf diesem Gelände keinen Schatten.

 

SandBild6

Bild 6: Dienstag, 7. Mai 2013, 8.02 Uhr Ortszeit: meine erste Schildkröte an diesem Tag, ein 2,2 kg schweres Weibchen, hier von den kleinen gelben Blüten fressend direkt am Fundplatz aufgenommen. 

 

Wie meine früheren Temperaturmessungen an Landschildkröten gezeigt haben, halten sich Tiere ab diesem Temperaturniveau nicht mehr an der freien Sonne auf, sondern bevorzugen schattige Plätze. Die gibt es auch in einem Sanddünen-Schildkrötenbiotop in ausreichender Zahl, auch wenn sie jeweils von begrenzter Größe sind (Bild 5).

Die hohen Tagestemperaturen waren der Grund dafür, dass ich nach etwa 10 Uhr trotz schweißtreibenden Suchens keine weitere Schildkröte mehr fand. Kein Wunder, denn um diese Zeit hatte die Sandoberfläche bereits eine Temperatur von 40 °C erreicht. Die für Schildkröten tödliche (letale) Temperatur ist davon nicht mehr sehr weit entfernt! Gleichzeitig ist auch die UVB-Bestrahlung der Sonne wegen der schlechten Deckung ungleich stärker als in anderen Lebensräumen. So habe ich schon um 9 Uhr am Fundort der in Bild 6 gezeigten Schildkröte 175 µW/cm2 gemessen, um 10.45 Uhr 300 µW/cm2. In anderen, „normalen“ Biotopen liegen typische UVB-Intensitäten um diese Tageszeit bei 50 bzw. 100 µW/cm2. Ich warne aber ausdrücklich davor, die hier angegebenen hohen Strahlungsintensitäten in dem ungeschützten Sanddünen-Schildkrötenbiotop für ein heimisches Schildkröten-Innengehege zu übernehmen, zumal für die UVB-Dosis auf die Tiere nicht nur die Intensität, sondern auch die Dauer der UVB-Beaufschlagung eine wichtige Rolle spielt (Näheres in der Rubrik „UVB-Fachartikel“ dieser Website).

Insgesamt untersuchte ich sechs Schildkröten mit Gewichten zwischen 0,9 und 2,7 kg, zwei Männchen und vier Weibchen. Eine weitere Maurische Landschildkröte entwischte mir, weil ich mit den Arbeiten an ihrer „Vorgängerin“ noch nicht ganz fertig und danach das Tier plötzlich verschwunden war. Aber es war auch nicht meine Intention, als persönlicher Wettbewerb möglichst viele Schildkröten sehen und fotografieren zu wollen.

Folgende Aufgaben führte ich bei allen sechs Schildkröten durch:

♦  Feststellung des Geschlechts
♦  Gewichtsmessung
♦  Messung des Längs- und Querumfanges, Ul bzw. Uq
♦  Messung der Carapaxlänge
♦  Messung der Lufttemperatur und der Carapax-Temperatur
♦  Messung der UVB-Intensität direkt am Fundort
♦  Fotodokumentation vom Fundort vor Beginn der Untersuchungen, Plastron- und Carapaxfotos am Ende der Untersuchungen.

Falls (ausreichend) Interesse besteht, werde ich den Zusammenhang der Schildkrötengröße, repräsentiert durch das Produkt der beiden Umfänge längs/quer mit dem Gewicht grafisch darstellen und diese Grafik mit entsprechenden Kurven von wild lebenden Schildkröten vergleichen, die in „normalen“ Biotopen leben (siehe mein Artikel „Über Schwimmverhalten, Gewichte und Gewichtskurven (Wachstumskurven) von Landschildkröten“ vom 9.12.2010 in der gleichen Rubrik dieser Website)*.

Jungtiere oder gar Schlüpflinge fand ich nicht, obwohl es sie nach den Berichten der eingangs erwähnten Schildkröten-Liebhaberin geben muss. Drei der sechs untersuchten Tiere hatten keinen Zeckenbefall, die anderen nur wenige Zecken, so dass die mitgenommene Zeckenpinzette nicht zum Einsatz kam. Dies ist auch verständlich, weil es in einem Sanddünen-Biotop nicht allzu viele dichte Versteckplätze wie anderswo gibt. Nach meiner Erkenntnis sind Schildkröten, die in „Normalbiotopen“ leben, im Durchschnitt sehr viel stärker von Zecken befallen.

 

Bild 7: Trauriger Anblick beim Warten auf das Taxi für die Rückfahrt zu meinem Hotel. DieseSandBild7 überfahrene Schildkröte lag bei meiner Ankunft noch nicht an dieser Stelle. Dabei gilt hier, ohnehin weit ab von der nächsten Hauptstraße gelegen, Geschwindigkeitsbeschränkung!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schlangen fand ich übrigens auch nicht, lediglich einige kleinere, sehr scheue Eidechsen. Dafür gibt es Unmengen von Schnecken und deren leere Häuser – an Kalkmangel leiden die dort lebenden Schildkröten nun wirklich nicht.

Pünktlich zum vereinbarten Zeitpunkt um 11.30 Uhr erschien das Taxi für die etwa 20 km lange Rückfahrt zu meinem Hotel. Während der Wartezeit am Rande des Biotops sah ich eine überfahrene Schildkröte (Bild 7), ein sehr unschöner Anblick.
Doch es sollte während meines einwöchigen Türkei-Aufenthaltes das einzige überfahrene Tier sein.

 

Sand8Bild 8: Der Autor mit einer Maurischen Landschildkröte. Wie unschwer zu sehen ist, entstand diese Aufnahme nicht im Sanddünen-Biotop, sondern im abgelegenen Teil der Hotelanlage, wo ich im Verlauf meines Aufenthaltes noch viele weitere Schildkröten fand, über Stunden hinweg ihr Verhalten beobachtete und sie vermaß und wog. Doch das wären Stoff und interessante Ergebnisse genug für einen weiteren Artikel ...


 

 

 

 

 

Alle hier gezeigten Aufnahmen sind unbearbeitete Digitalfotos.

LIteratur:
Bidmon Hans-Jürgen (2013): Schildkröten in den Dünen entlang des Ropotamo: Ein Lebensraum geprägt von ausgiebigem Morgentau zwischen Sand und Eichenlaub. Schildkröten Im Fokus 10 (1), 1. Februar

 

*) Falls allgemeines Interesse an einer solchen Grafik besteht, werde ich sie zu gegebener Zeit in schildi-online.eu veröffentlichen bzw. etwaigen Anfragern (Kontaktmöglichkeiten des Autors siehe Rubrik „Impressum & Kontakte“) gegen Portoerstattung zusenden, ansonsten in einer Schildkrötenzeitschrift publizieren (was aber bis zu einem Jahr dauern dürfte).

 

Dieser Beitrag wurde am 18. Mai 2013 online gestellt.